Eine (fast) unglaubliche Martinsgeschichte

Daniela und Patrick Klaßmann mit den beiden Söhnen Paul und Karl.

Martinsumzug mit selbst gebastelten Laternen. Martin auf dem Pferd, Brezel, Stutenkerl – eine prägende, schöne Kindheitserinnerung.

Martin teilt: den Bettler wärmt die eine Mantelhälfte, er selbst muss nicht erfrieren. Eine Win-Win Situation. Heute wie Martin sein? Das kann ein Ehepaar sein wie Daniela und Patrick Klaßmann.

Daniela und Patrick Klaßmann blieb der Wunsch, eigenen Kindern das Leben zu schenken zu können, unerfüllt. Sie geben die Hoffnung nicht auf. Sie entscheiden miteinander: Wir wollen Kinder und ihnen gute, verantwortliche Eltern sein.

Zuerst nehmen sie Kontakt mit dem Jugendamt in Recklinghausen auf. Dann folgten Gespräche der beiden mit dem Jugendamt, in denen das Umfeld beleuchtet und hinterfragt wurde. „Man wird auf Herz und Nieren geprüft, ob man geeignet ist, Adoptionseltern werden zu können. Großeltern, Familie, Freunde und Umfeld werden befragt, ob sie hinter unserem Wunsch stehen und weiter zu uns stehen, wenn auf einmal Kinder da sind. Natürlich muss der Background stimmen, weil man für die Kinder und für sich selbst eine große Herausforderung annimmt“, sagt Patrick Klaßmann. Und seine Frau Daniela fügt an: „Auch werden vom Jugendamt finanzielle und räumliche Aspekte in den Blick genommen. Und viel wichtiger ist die Frage, ob man bereit ist, ein Kind auf- und anzunehmen, das einen anderen ethnischen Hintergrund oder Vorerkrankungen hat. Wir haben beide klar mit Ja geantwortet. Egal ob Junge oder Mädchen, afrikanisch oder asiatisch. Auch auf ein Kind mit einer leichten Behinderung würden uns freuen.“

Ausgeschlossen hatten sie für sich ein schwerstbehindertes Kind, weil sie sich damit überfordert fühlten. Ebenso haben sie sich gegen ein Kind einer alkoholkranken Mutter ausgesprochen. Alkoholkonsum während der Schwangerschaft kann mögliche Langzeitfolgen, die nicht im Vorhinein nicht abzuschätzen sind. 

Die Vorfreude wächst, als vom Jugendamt das Okay, die Nachricht kommt, dass sie nun auf der Liste adoptionswilliger Ehepaare stehen. So warten sie gespannt und gut vorbereitet auf den erlösenden Anruf. Aber er will einfach nicht kommen. Drei Jahre passiert nichts. Bis zum 29. November. 
Es war ein Freitag. Das Handy klingelt. Das Jugendamt ruft Patrick Klaßmann an. „Sind Sie beide bereit, einem Jungen ein neues Zuhause zu geben? Sie haben das Wochenende Zeit, sich zu entscheiden.“ Sofort ruft er seine Frau am Arbeitsplatz an. „Ich konnte erst nicht antworten. Ich habe vor Freude geheult. Beide waren wir fix und fertig. Es beginnt ins uns eine Achterbahn der Gefühle. Wir konnten es nicht greifen, begreifen. In wenigen Stunden sind wir Eltern! Panik kommt auf. Wir sind nicht vorbereitet: kein Kinderbett, keine Fläschchen, keine Windeln, keine Kleidung. Nur einen Kinderwagen und ein Maxi Cosi, schon vor längerer Zeit von Arbeitskollegen gekauft, in der Hoffnung das… - Wir sagen zu.“, erzählt Mutter Daniela mit großer Freude. 

Am 5. Dezember sehen sie ihren Paul zum ersten Mal. Sie stellen der Frau, die ihn kurzzeitig in Obhut genommen hatte, ihre Fragen, wie er schläft, worauf besonders zu achten ist. Einen Tag später, am Nikolaustag, holen sie ihn ab.  Paul – ein Nikolausgeschenk. 
Dass sie jetzt eine Familie werden, darin sollte der engste Familienkreis eingeweiht werden. Aber wie? „Unsere Eltern und Geschwister haben wir dann einen Tag später zu uns eingeladen. Kommt heute Nachmittag zu uns. Wir haben eine Überraschung für Euch.“ Sie kommen und als sie frohe Nachricht hören, dass Paul nun zur Familie gehören wird, sagt die Oma überwältigt: „Jetzt brauche ich erst einen Schnaps.“

Zwei Jahre später, Dezember 2021, ereignet sich die „Martinsgeschichte“ noch einmal. Daniela und Patrick Klaßmann waren mit Paul gerade beim Einkaufen. Das Handy klingelt. „Hier ist das Jugendamt. Bitte rufen Sie zurück, sobald es geht, aber unbedingt heute noch.“ Ganz aufgeregt hören wir dann die schöne Frage: „Möchten und können Sie einen kleinen Jungen aufnehmen, der heute geboren wurde?“ Beide gucken sich an. Beide nicken sich freudestrahlend zu. Mehr braucht es nicht. Keine Fragen. Sie fahren ins Krankenhaus. Wenige Tage später ist Karl ihr zweiter Sohn.
Eine (fast) unglaubliche Martinsgeschichte. Paul und Karl verstehen noch nicht, aber erleben es Tag für Tag. „Man gibt als Mutter und Vater viel von sich:  Zeit, Kraft, Schlaf, Liebe eben. Man bekommt aber gleichzeitig viel zurück. Beim ersten Mama-und-Papa-Sagen rollten uns die Tränen. Es ist eine Win-win-Situation: Paul und Karl sind tolle Kinder und die beiden – so hoffen wir – haben bei uns und mit uns ein schönes, warmes Zuhause.“

Text: Aloys Wiggeringloh 

Dieser Artikel erschien zunächst in der November-Ausgabe der geistREich, der Kirchenzeitung für Recklinghausen.